Der britische Schriftsteller und Historiker Sir Ian Kershaw wurde am 03. Mai 2018 im Krönungssaal des Aachener Rathauses mit der Karlsmedaille für europäische Medien, der „Médaille Charlemagne pour les Médias Européens“ ausgezeichnet.
Mit der Karlsmedaille wird seit dem Jahr 2000 im Vorfeld der Karlspreis-Feierlichkeiten eine europäische Persönlichkeit oder Institution ausgezeichnet, die sich auf dem Gebiet der Medien in besonderer Weise um den Prozess der europäischen Einigung und um die Herausbildung einer europäischen Identität verdient gemacht hat.
Mit der Vergabe der 18. Karlsmedaille würdigte das Kuratorium des Vereins „Médaille Charlemagne“ im Jahr 2018 die Verdienste Kershaws als „wahrer Unterstützter eines gemeinsamen Europas“. „Ian Kershaw hat in seinen Büchern eindrucksvoll die neuere europäische Geschichte dargestellt und analysiert. Insbesondere mit seinem Buch ‚Höllensturz‘ hat er eine europäische Geschichte vorgelegt, die deutlich werden lässt, woher wir Europäer kommen und wovor uns die Einigkeitsbestrebungen seit vielen Jahrzehnten womöglich bewahrt haben“,heißt es entsprechend in der Begründung des Kuratoriums.
Der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp betonte in seiner Begrüßungsrede, dass Europa momentan vor allen Dingen Orientierung brauche. Er sagte: „Hierbei hilft ganz sicher ein historisches Bewusstsein, woher Europa kommt, aus welchen geschichtlichen Tiefpunkten heraus es sich entwickelt hat. Ian Kershaw ist ein Wissenschaftler, der mit seinem ganzen Lebenswerk dafür sorgt, dass der Blick in die Geschichte zu einem tieferen Verständnis der Gegenwart unseres Kontinents führt.“ Und weiter: Ian Kershaw ist ein großer Europäer, der die Vergangenheit wissenschaftlich erforscht und auf dieser Grundlage der Gegenwart Verständnis und Zielorientierung gibt, damit unser Kontinent eine friedliche, demokratische, gemeinsame Zukunft hat. Die Auszeichnung, die ihm heute verliehen wird, ist ein symbolischer Dank für sein Werk und sein Wirken.“
Der Journalist und Autor Stefan Aust hielt bei der Verleihung der Karlsmedaille die Laudatio auf Ian Kershaw. Aust ist seit 2014 Herausgeber der Tageszeitung „Die Welt“ und war bis September 2016 auch deren Chefredakteur. Er stellte fest: „Ian Kershaw ist ein außergewöhnlich brillanter Historiker und Erzähler, Spezialist für die dunkelsten Seiten der deutschen Geschichte. Er schildert das Vergangene so, dass es Teil der Gegenwart wird. Europas Gegenwart.“
Ian Kershaw erinnerte in seiner Ansprache daran, dass es in einigen Jahren kaum noch Menschen geben werde, die die Zeiten vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg selbst erlebt hätten. „Mit ihnen werden deren Berichte und Erzählungen über diese Zeit verlorengehen. Dann ist einzig noch die Geschichte selbst übrig, aus der man das teils grenzenlose Leid, das seinerzeit so vielfach auf der Welt geherrscht hat, erfahren kann. Aus der Geschichte zu lernen bedeutet, für die Zukunft zu lernen. Dass ich als Historiker ein Stück weit dazu beitragen darf, erfüllt mich mit großer Freude. Und dass ich genau für diese Arbeit heute Abend diese wunderbare Auszeichnung erhalte, erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit.“
Michael Kayser, Vorsitzender des Vereins „Médaille Charlemagne“, hielt den Zuhörern im Krönungsaal vor Augen, dass die Europäische Union auch heute noch ist ein sehr fragiles Konstrukt sei und nach wie vor jede zumindest stärkere Erschütterung große Schäden verursachen könne. Kayser erklärte: „Eine solche Erschütterung sieht Kershaw beispielsweise im Austritt Großbritanniens aus der EU und zwar für den Fall, dass andere Länder hierdurch zur Nachahmung angeregt werden. Um diesen Ländern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Ian Kershaw gegen viele Stimmen im eigenen Land mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen eine harte Haltung der EU gegenüber Großbritannien angemahnt.“
Am Rande der Preisverleihung hatte bereits Dr. Jürgen Linden, Vorsitzender des Aachener Karlspreisdirektoriums, gesagt: „Ian Kershaw erläutert den Leserinnen und Lesern in seinen Büchern detailliert unter anderem die Zusammenhänge, die zur Weimarer Republik und später zu den beiden Weltkriegen geführt haben. Wissenschaftlich untermauert legt er eindrucksvoll die Zusammenhänge dar, die schließlich zu beiden Kriegen geführt haben. Als Leser ertappt man sich immer wieder bei dem Versuch, die Geschehnisse auf die heutige Zeit zu übertragen und bei der Frage, ob Ähnliches auch heute noch möglich wäre. Die Antwort hierzu bleibt offen, aber Ian Kershaw macht deutlich, dass der Zusammenschluss der Nationen in der Europäischen Union durchaus zu einer höheren Stabilität und Sicherheit in Europa geführt hat und dass es fatal wäre, diesen Zusammenschluss aufzugeben.“